Mit dem Frachter „Aranui“ zu den Marquesas-Inseln

Tief hinein ins Leben Polynesiens und in die mystische Südsee führt die etwas andere Kreuzfahrt mit dem Frachtschiff „Aranui“.

Ein Reisebericht.

Das kitzelt im Bauch. Mit dumpfem „Bumm! Bumm! Bumm!“ lässt die gewaltige Holztrommel das Zwerchfell vibrieren. Dann übernehmen die fünf Gitarren der Band den Rhythmus und der mehrstimmige Gesang des Chors füllt die aus rund geschliffenen Vulkansteinen gebaute Kirche mit Freude und Lebenslust.

Draußen erschöpft sich ein Morgenschauer. Eine kühlende Brise weht durch die Kirche. Die Damen des Dorfs tragen alle Sonntagsstaat: knallbunte Kleider, Strohhut, Blumenschmuck. Am Ende der Messe begleitet der Klang der Muschel- und Holzhörner die Priester hinaus ins Freie. Die Band und der Chor folgen und starten am Portal ein Impromptu-Konzert. Dann beginnt das Küssen. Links, rechts, Lippen gespitzt. Ach so, französisch! Von den Bäumen dampft das Nass, verdunstet nur langsam in der stechenden Tropenluft. Die Luft ist schwer, das Herz leicht an diesem Ostersonntag im Dorf Vaitahu auf Tahuata.

Vor neun Tagen, gegen 7 Uhr abends … Die „Aranui“ verlässt die Docks von Papeete. Tahiti mit seinen steilen, wolkenverhüllten Bergen versinkt in der Dämmerung, die Lichter der quirligen Stadt beginnen zu glitzern. Das Schiff umrundet die Insel und richtet seinen Bug nach Nordosten in die pechschwarze Nacht hinein. Die lang gezogene Dünung des Pazifik beginnt das Schiff zu wiegen. Die „Aranui“ ist schwer beladen. Die Stauräume sind bis zum letzten Winkel voll gestopft, auf dem Vorderdeck, dominiert von zwei gelben Kränen, herrscht drangvolle Enge: Baumaterial, Container, knallrote Treibstofffässer, vier bunte Seekajaks. Dazwischen sind Gabelstabler eingezwängt. Vorn am Bug sind zwei große Holzboote vertäut.

Das Versorgungsschiff der abgelegenen Marquesas-Inseln ist deren Nabelschnur und Lebenslinie. Alles – vom Auto bis zum Ziegelstein – wird mit diesem Frachter zu den fernen Inseln gebracht. Aber die „Aranui“ ist kein normaler Frachter. Sie nimmt auch Passagiere mit. Der hintere Teil des 3.800-Tonnen-Schiffs ist kreuzfahrttauglich ausgebaut. Und auch für Unterhaltung ist gesorgt. Nach dem Abendessen spielt die Bord-Band zum Tanz auf. Natürlich polynesische Lieder. Der Käpten zupft den Bass – eine alte Holzbox mit einem Stiel und einer Schnur. Drei seiner Matrosen spielen Ukulele und Gitarre. Singen tun sie alle. Ein paar Mädchen von der Crew tanzen dazu.

Auf dem Schiff gibt es keine Barrieren zwischen Mannschaft und Passagieren. Vor allem Kranführer Brutus, kahlköpfig, mit goldenen Ohrringen und tätowierten Muskelpaketen, hinterlässt nachhaltigen Eindruck bei den Damen.

Am Morgen taucht die Insel Ua Pou auf

Die Kabinen sind folglich zwar bequem, aber nur zweckmäßig-modern ohne besonderes Flair. Es wurde mehr Wert auf Funktionalität gelegt als auf eine üppige individuelle Innenausstattung. Die Sonne steht im Zenit, als am dritten Tag die ersten Inseln der Tuamotus aus dem pazifischen Blau auftauchen.

Flache Atolle wie Konfetti im Ozean. Weiße Sandstreifen mit Palmen. Sehnsuchtsgebilde. Wir ankern vor der Insel Takapoto. Muskelbepackte Seemänner mit Tätowierungen bereiten auf dem Vordeck das Entladen vor. Einer der Kräne setzt die Beiboote, die uns an Land bringen, ins unglaublich klare Wasser. Am Pier herrscht reges Treiben. Der Dorfpolizist macht seine Aufwartung. Wir bekommen Blumenkränze umgehängt. Auf der anderen Seite des Dorfs schimmert die Lagune. Dort lehnen sich Palmen über türkisfarbenes Wasser, formen eine Szenerie wie aus dem Reisekatalog. Nach einigen Stunden ist das Ent- und Beladen zu Ende und wir legen wieder ab.

Am folgenden Morgen taucht die nächste Insel auf. Doch die verschwommene Silhouette in der Dämmerung hat nichts mit der Südsee-Lieblichkeit eines Tuamotu-Atolls zu tun: Ein breiter Berg mit bizarren Felsspitzen und Obelisken ragt ganz und gar nicht lieblich aus dem schwarzblauen Wasser. Es ist Ua Pou, die erste der sechs bewohnten Marquesas-Inseln, die die „Aranui“ auf ihrer Versorgungsroute anläuft.

Das Schiff lässt vor dem Dorf Hakahetau seinen Anker rasselnd in die Tiefe rauschen. Wunderschöne junge Mädchen mit Blumenkränzen im hüftlangen schwarzen Haar schwingen zur Begrüßung anmutig ihre Hüften. Die Dörfler haben Stände aufgebaut, an denen sie Kunsthandwerk wie Muschelketten, Strohhüte, Holzschnitzereien, Perlmutt und die berühmten Blumensteine von Ua Pou verkaufen.

Fast jeder in dem blitzsauberen Dorf scheint ein Handy zu haben. Den Menschen auf den Marquesas geht es relativ gut – dank des Gelds, das Frankreich nach Französisch-Polynesien pumpt. Nach einem Bummel durch das Dorf werden wir auf die Ladeflächen von Allrad-Pick-ups verfrachtet. Es geht quer durch das Innere der Insel nach Hakahau, dem Hauptort. Abseits von dessen üppigem Tropengarten-Ambiente ist die Insel karg. Eine einsame aquamarinblaue Bucht, eingerahmt von kahlen Klippen und mit einer blendend weißen Strandsichel, leuchtet unten an der Küste. In der Ferne markieren weiße Wolkenbäusche die Nachbarinsel Nuku Hiva. Faszinierend sind die alles beherrschenden bizarren Felsnadeln auf der Insel. Zwei der gigantischen Felsobelisken, Mount Poutemoka (683 Meter) und der Mount Oave (1.203 Meter), gaben der Insel ihren Namen. Ua Pou nämlich bedeutet „Zwei Säulen“.

In der Zwischenzeit hat die „Aranui“ die Insel umrundet und wartet am Pier von Hakahau auf uns. Kleine bunte Häuser schmiegen sich dort in ein weites Tal. Eine üppige Vegetation aus Palmen, Brotfruchtbäumen und Mangobäumen mischt sich mit den satten Farbklecksen der Bougainvilleen, den Hibiskushecken und duftender Tiara. Im Zentrum des Dorfs, am Paepae, dem Versammlungsort an einem restaurierten Tempel, sind im Schatten eines mächtigen Brotfruchtbaums Tische mit marquesischen Spezialitäten aufgestellt: Poisson cru, das ist roher, in Kokosmilch und Limonensaft marinierter Fisch, Ka’aku aus Taro und Maniok und getrockneter Fisch. Dazu werden tropische Früchte gereicht. Junge Mädchen, geschmückt mit gelben, schwarzen und weißen Federn, Ketten und Blumenkränzen, gekleidet in den traditionellen, knöchellangen Pareus, tanzen. Am Abend verlässt der Frachter Hakahau wieder.

 

Eine Teerstraße führt ins Taipi-Tal

Nach dem Frühstück an Bord bringen uns „les trucks“, das sind bunte, zu Bussen umgebaute Lastwagen mit harten Holzbänken, auf der Insel Nuku Hiva in das nur ein paar Kilometer entfernte Taiohae. Der Hauptort der Marquesas schmiegt sich an eine weitläufige Bucht, die wie ein Amphitheater von steilen Vulkanbergen gesäumt ist.

An der Uferpromenade stehen Tikis (mystische Steinfiguren). Von dort führt eine kühne Teerstraße über steile Vulkanhänge zum Muake’s Saddle und dann hinunter in das wie aus einem Fotobuch entsprungenen Taipi-Tal. Herman Melville lebte mehrere Wochen lang in dem kleinen Dorf Taipivai und verarbeitete die Erlebnisse in seinem Buch „Typee“.

Taipivai ist eine Ansammlung von winzigen, mit Wellblech gedeckten Häusern und schmucken Gärten entlang einem murmelnden Bach. Der Duft von Vanille hängt in der schwülwarmen Samtluft. Schwere Bananenstauden, Brotfruchtbäume und Zuckerrohr bilden die tropenparadiesische Kulisse. Im hinteren Teil des tiefen Tals, versteckt im Dschungel, liegt eine versunkene Welt: Je zwei rostrote Tikis, grimmige Wächter aus einer anderen Zeit, flankieren die Steinmauern. Am Spätnachmittag warten wir dann am Fluss unten im Dorf auf die Boote, die uns zur „Aranui“, die in der Taipivai Bay ankert, bringen sollen. Die Zeit steht still. Dörfler versammeln sich und warten mit uns. Das Leben schaltet mehrere Gänge zurück. Nichts rührt sich, nur der Sonnenball versinkt langsam hinter den Palmkronen, als die Boote endlich den Fluss herauftuckern. Als wir die „Aranui“ erreichen, leuchten bereits die Sterne.

Ein weiterer Tag, eine weitere Insel: Hiva Oa. Unser Schiff ankert vor Atuona. Auf dem Morgenprogramm steht eine kurze Wanderung zum Belvedere, einem grandiosen Aussichtspunkt über dem Ort. Auf dem Calvaire-Friedhof von Atuona liegen Jacques Brel und Paul Gauguin. Die ständig mit Blumenkränzen geschmückten Gräber sind ein Wallfahrtsziel. Während Brel nach wie vor in den Herzen der Menschen lebt, gilt Gauguin heute als „Blender und Opportunist mit einem Hang zur Provokation und Polemik“, wie der amerikanische Archäologe Robert C. Suggs schreibt.

Auf ihrer Versorgungsrunde läuft die „Aranui“ einige Inseln mehrmals an. Fünf Tage später sind wir deshalb wieder auf Hiva Oa, diesmal in Puamau auf der Nordseite der Insel. Im Schatten des großen vulkanischen Felspfeilers Toea unter uralten Brotfruchtbäumen liegt Iipona, die bekannteste Fundstätte der Marquesas. Dort wird die Magie der weltfremden Insel greifbar. Da ist die liegende Skulptur der Schmetterlingspriesterin, einer Frau, die bei der Geburt ihres Kindes starb, da sind die großen Tikis oder das seltsame, in einen Steinblock geritzte Tier.

Am frühen Morgen setzen wir über zum Dorf Omoa auf Fatu Hiva. Die abgelegenste der Marquesas-Inseln gilt auch als die wildeste, üppigste und schönste. Die Luft ist schwer, dichte Wolken ballen sich über dem Meer zusammen und driften langsam zur Insel, als wir die zehn Minuten von der Anlegestelle zum Dorf wandern. Schweiß quillt aus allen Poren. Im nahen Begegnungszentrum warten Früchteplatten mit Mangos, Grapefruits, Melonen, Sternfrüchten, Äpfeln und geraspelten Kokosnüssen auf uns. Vor der Tür sitzt eine Frau im Schatten und fertigt Bouquets aus Blumen und Kräutern. Sandelholzpulver gibt den Gebinden einen aromatischen Geruch. Früher trugen die Frauen diese Gebinde, um die Männer zu betören.